Twyla Tharp ist eine amerikanische Choreographin. Sie choreografierte Stücke für berühmte Ballettkompanien wie das Royal Ballet und das New York City Ballet. Außerdem arbeitete sie mit dem Regisseur Milos Forman gemeinsam an Filmen wie „Hair“ oder „Amadeus“. In ihrem Buch „The Creative Habit“ räumt sie mit dem Klischee auf, dass Künstler*innen darauf warten, bis sie die Muse küsst. Sie erklärt, welche Arbeit hinter kreativen Prozessen steht und welche Tipps und Tricks sich dabei für sie bewährt haben. In Kombination mit vielen praktischen Übungen ergibt das einen reichen Schatz an Hilfestellungen für alle, die sich gerne kreativ betätigen.
Routine
Die ersten Schritte sind immer besonders schwer. Um die Hemmschwelle zu überwinden, einfach zu beginnen, empfiehlt Twyla Tharp Rituale. Sie bringen uns in Schwung, nehmen uns die Entscheidung ab, womit wir beginnen und ob wir gerade Lust darauf haben. Für Twyla Tharp ist das der morgendliche Weg ins Fitnessstudio. Sie bringt noch weitere Beispiele wie Menschen mit einem Ritual in ihren kreativen Tag starten: Stravinsky begann jeden seiner Arbeitstage, indem er eine Bach Fuge spielte. Ein bekannter Koch geht als erstes in seinen Kräutergarten, um sich Ideen für neue Geschmackskombinationen und Gerichte zu holen. Welche Handlung hilft dir dabei, dich auf kreative Arbeit vorzubereiten und einzustimmen? Wähle eine konkrete Aktion als Ritual aus, die du jeweils zu Beginn deiner Arbeitssession durchführst.
Box für Projekt
Ein super System, um seine kreativen Projekte zu organisieren, sind Boxen. Twyla Tharp startet jedes Projekt mit einer Box (z.B. einem einfachen Büro Karton). Sie schreibt den Projektnamen auf eine Box und sammelt darin Dinge, die dafür nützlich sein können. Das sind in ihrem Fall oft Notizbücher, Zeitungsausschnitte, CDs, Videotapes von Tanzproben, aber auch Bücher und Fotografien. Neben dem rein organisatorischen Aspekt bietet diese Methode noch weitere Vorteile: Ein Projekt wird schon in dem Moment realer, indem man dem Ganzen einen konkreten Namen gibt, und man hat allein dadurch bereits mit dem ersten Arbeitsschritt begonnen. Außerdem kann man weniger leicht Ideen vergessen, wenn man einen fixen Ort hat, wo man diese aufbewahrt. Besonders in herausfordernden Momenten kann sich die Projektbox als wertvoll erweisen: Zweifelt man oder steht an, kann man sich jederzeit vor Augen halten, warum man dieses Projekt gestartet hat und welche kleinen Dinge einen inspiriert haben, sich mit diesem konkreten Thema auseinanderzusetzen.
Suche nach Ideen
Am Beginn jeder kreativen Aktivität steht immer die Suche nach einer verwertbaren Idee. Um darin erfolgreich zu sein, müssen wir versuchen neu zu definieren, was überhaupt eine Idee ist. Oft halten wir uns im kreativen Prozess mit der Suche nach der vermeintlich großen Erleuchtung auf. Das hindert uns am Weiterkommen und lässt uns viele Chancen verpassen. Erfahrung und wachsende Fähigkeiten ermöglichen es uns, gerade in den kleinen Ideen das Potenzial zu sehen. Oft kann es schon ausreichen zwei kleine Ideen zu kombinieren um etwas Größeres daraus zu kreieren. Improvisieren kann eine gute Möglichkeit sein, um auf solche kleinen Bausteine zu stoßen.
Bei Twyla Tharp ist es oft das Lesen, das sie inspiriert und auf neue Gedanken kommen lässt. Eine weitere Inspirationshilfe kann die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Kunstsparten sein, sei es der Besuch eines Museums, einer Theatervorstellung oder einer Tanzaufführung. Auch die Suche bei der künstlerischen Arbeit der persönlichen Vorbilder kann ein guter Startpunkt für Ideen sein.
Vorbereitung
Um keine Chance zu verpassen, ist es wichtig, vorbereitet zu sein, um Ideen jederzeit festhalten zu können. Der Autor Paul Auster erzählt in seinem Essay „Why Write?“, dass er als kleiner Bub nach einem Baseball Match sein Idol getroffen hatte. Er fragte den Spieler nach einem Autogramm, aber da weder er, noch einer der Zuschauer in der Nähe einen Stift dabei hatte, kam das Autogramm nicht zustande. Ab diesem Tag verließ Paul Auster das Haus nie mehr ohne Stift. Er hatte keine speziellen Pläne wofür er den Stift verwenden wollte, es ging ihm nur darum ausgerüstet zu sein. Mit der Zeit begann er sich im Alltag öfters Notizen zu machen und so wurde er in weiterer Folge Schriftsteller.
Ein anderer Autor hat es sich zur Gewohnheit gemacht, von jedem Spaziergang „mit einem Gesicht zurück zu kommen“. Das heißt, er hielt gezielt nach interessanten Gesichtern Ausschau, die er anschließend detailliert beschrieb und sich die Geschichte hinter der äußeren Fassade dieser Individuen überlegte. Andere Beispiele wären Fotografinnen, die immer eine Kamera dabei haben, oder Komponistinnen, die immer ein Aufnahmegerät dabei haben. Was ist dein Werkzeug, das du benötigst, um für kreative Momente vorbereitet zu sein?
Verzicht auf Ablenkung
Hat man einmal lohnende Ideen gefunden, die man nun weiter ausarbeiten möchte, kommt die eigentliche Arbeit, für die man Ausdauer und Konzentration benötigt. Dabei können einem die vielfältigen potentiellen Ablenkungen des Alltags ordentlich in die Quere kommen. Twyla Tharp hat daher immer wieder damit experimentiert, für begrenzte Zeiträume bewusst auf konkrete Ablenkungen zu verzichten. In arbeitsintensiven Phasen beschließt sie für eine Woche auf folgende Dinge zu verzichten: Filme schauen, Zahlen in jeder Form (Uhr,Gewicht, Rechnungen,…), Hintergrundmusik. Versuche deine größten Ablenkungsquellen zu identifizieren und lege einen konkreten, realistischen Zeitraum fest, in dem du darauf verzichten wirst.
Eine Brücke zum nächsten Tag schlagen
Einer meiner absoluten Lieblingstricks: Hör dann auf zu arbeiten, wenn du genau weißt, wie es weitergehen wird. Durch diese Reserve wirst du am nächsten Tag ungleich motivierter an die Sache herangehen und den Schwung vom Vortag mitnehmen können. Wenn du Sorge hast, bis zum nächsten Tag zu vergessen, wo du anknüpfen wolltest, schreib dir eine kurze Notiz. Beginne den nächsten Tag damit, deine Notiz durchzulesen, und du wirst sofort wieder im Groove sein.
Wissen, wann man aufhören muss
Wissen, wann man eine Arbeit vollenden soll, ist genauso essentiell, wie zu wissen, wie man beginnt. Wann ist etwas so gut wie es sein kann bzw. das Beste, das du im Moment erreichen kannst? Es ist kein Zufall, dass in der Kreativbranche viel mit Deadlines gearbeitet wird: Schriftstellerinnen bekommen sie vom Verlag, Filmemacherinnen haben fixierte Premieren, Maler*innen haben festgelegte Ausstellungstermine. Der Kalender bestimmt wann Schluss ist. Schwieriger ist es, wenn man für sich und aus eigener Motivation heraus arbeitet. Auch hier hat Twyla Tharp ein Ritual gefunden, dass ihr dabei hilft ein Stück loszulassen und in die Freiheit zu entlassen: Als allerletztes gibt sie einem von ihr entwickelten Stück (Choreografie) einen Titel. Mit diesem befriedigenden Ritual gibt sie sich selbst das Zeichen, die ständige Suchen nach Verbesserungen und möglichen Änderungen abzuschließen, weil sie bereits dort angekommen ist, wo sie mit diesem konkreten Projekt hinwollte.
Eine Portion Optimismus
Keine Frage, um ein kreatives Projekt zu realisieren, bedarf es eines großen Durchhaltevermögens und viel Ausdauer. Das lässt sich jedoch leichter bewerkstelligen, wenn man optimistisch an die Sache herangeht. Mit der Einstellung, dass man sich mit allem, was man bisher geleistet hat, auf das aktuelle Projekt vorbereitet hat, lassen sich Hürden leichter überwinden. Klar ist man nie 100% vorbereitet, aber mit dem Gefühl „ich bin bereit, ich fange an!“ kann es besser gelingen, sich den eigenen Unsicherheiten und Herausforderungen zu stellen.
Verständlicherweise konnte ich in diesem Beitrag nur einen Bruchteil der verschiedenen Strategien und Ansätze bei kreativen Prozessen wiedergeben. Wenn du also mehr zum Thema Kreativität lesen willst, kann ich dir Twyla Tharps Buch „The Creative Habit“ nur wärmstens empfehlen.